Donnerstag, 10. Dezember 2015

Über Überbesorgte und Helikoptereltern

"Hab ich "keine Ahnung, weil ich selbst keine Kinder habe" nur weil ich mit den Ansichten einer überbesorgten Mutter nicht konformgehe?" 

Das hat A. vor ein paar Tagen bei Facebook gefragt. Die Antworten ihrer Freunde gehen ganz in ihre Richtung von: "Nö, manche übertreiben's halt (Helikoptereltern) bis "Das Gefühl kenn ich, man hat keine Ahnung, nur weil man keine Kinder hat. Das tut öfters weh." 

Liebe A. , 

dein Post galt nicht mir persönlich, eigentlich kennen wir uns ja nicht besonders gut. Ich kann nicht mal sagen, ob du weisst, dass seit sechs Monaten ein kleiner Junge mein Leben auf den Kopf stellt. 

Seinetwegen antworte ich Dir erst jetzt, denn zeitlich bin ich doch sehr eingespannt. Aber länger aufschieben kann ich es leider nicht, denn meine Gedanken zu deiner Aussage (ich gehe mal davon aus, dass deine Frage rein rhetorisch war) rauben mir in letzter Zeit oft den Schlaf. 

Normalerweise lese ich gerne bei dir mit. Ich mag deine Posts und Interessen und finde die Bilder deiner Hochzeit wunderschön. 

Aber dann kam dieser Satz, oder diese Frage, oder wieauchimmer. 

Ich muss sagen, zuerst war ich böse. So böse, wie du vielleicht, als Du diese Zeilen getippt hast. Und wie gerne hätte ich spontan meine Meinung kundgetan. 

Ich denke, es war die Aussage Deiner Bekannten "Das tut öfters weh", die mich davon abgehalten hat, sofort zurückzupöbeln. Wenn ich es recht überlege, steckt vielleicht genau das dahinter. Du wolltest einer Mama mit einem Ratschlag etwas Gutes tun, und diese Mama (vermutlich fühlte sie sich angegriffen) hat Dir mit den Worten geantwortet, Du hättest ja eh keine Ahnung. Ein Vorwurf, den niemand gerne auf sich sitzen lässt. 

Hast du also keine Ahnung, nur weil du selber keine Kinder hast? Sicher warst du selber mal Baby. Du hast bestimmt viel gelesen. Hast dir viel angehört, hast Freundinnen und Familien mit Babys verglichen. Hast versucht dich in Situationen hineinzufühlen und dir über viele Situationen deine Meinung gebildet. Und ganz ehrlich- bestimmt machen das alle Frauen. Und Mütter haben das genauso gemacht, als sie noch keine Mütter waren. Und Mütter, als sie noch keine Mütter waren, haben sicher oft genauso gedacht wie du: "das und das würde ich anders machen" und "Bei allem Respekt, so eine überbesorgte Mutti, das kann für die Kinder doch nicht gut sein". 

Liebe A., als ich noch keine Mutter war, habe ICH das genauso gedacht. Und nicht einmal, sondern mehrmals. Und natürlich "überbesorgt" wollte ich nie, aber niemals im Leben werden. 

Aber genau das ist passiert: ich bin eine überbesorgte Mutter. Ich weiss es selber und ich kann es in den Blicken von Freunden und Familie sehen. 

Deshalb hat mich deine Aussage so getroffen: Blöde, überbesorgte Mutter! 

Weisst du A., mein Sohn ist einen Monat zu früh geboren. Nach 8 Monaten Angst und Bangen, ob dieses Baby gesund sein würde, wurde er mir nach einem Notkaiserschnitt überreicht mit den Worten er sei voll und ganz gesund und alles wäre gut. Nach 6 Stunden wurde er doch der Frühchenstation übergeben. 12 Studen später kam er von dort auf die Intensivstation. 3 Wochen habe ich gezittert und manchmal fast die Hoffnung verloren. Auch nachdem wir endlich zu Hause waren, folgten noch zwei Krankenhausaufenthalte. Aber jetzt ist alles gut. 

"Aber jetzt ist ja alles gut." Du glaubst gar nicht, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Kopf hoch, jetzt ist ja alles gut, nun kannst du ja gelassener ans Muttersein herangehen. Es ist auch alles wieder gut. Trotzdem schlafe ich nicht, wenn der Kleine nur erkältet ist. Kontrolliere während seines Mittagsschläfchens, ob er auch noch atmet. Fühle beim Spazierengehen alle zehn Meter, ob ihm womöglich zu warm oder zu kalt ist. Bekomme Schweissausbrüche, wenn er hustet. Weine, wenn ich ihm beim Nagelschneiden in den Finger zwicke, von meinen Herzschmerzen, wenn er geimpft wird, ganz zu schweigen. 

Nun könntest du denken- na gut, nach so einem schwierigen Start, da darf sie überbesorgt sein. Aber all die anderen... 

Und dazu möchte ich dir so gerne sagen - dir und auch überhaupt allen - Lasst doch bitte JEDE Mutter so überbesorgt sein, wie sie möchte. Wie es ihr gut tut. Wie es ihr hilft ihre Sorgen im Schach zu halten. Wir kennen doch ihre Geschichte nicht. Überhaupt. Lasst doch einfach diesen Begriff "überbesorgt". Was heisst das schon? "Helikoptereltern" - na und? 

Ich höre schon die Antworten "Man kann es auch übertreiben, das ist ja auch für's Kind nicht gut.." Auch hier kann ich nur gestehen - habe ich auch selbst schon oft gedacht. Möchte ich aber nicht mehr denken. Wer bin ich denn, dass ich als Aussenstehende sagen kann, was besser oder schlechter für das Kind ist, als seine Eltern? 

So, liebe A.. meine Antwort für dich lautet also: Ich würde es nicht so drastisch ausdrücken, dass Du gar keine Ahnung hast. Ich bin sicher, Du weisst ne ganze Menge über's Muttersein. Es tut mir sogar leid, dass Dir das so an den Kopf geschmissen wurde. Aber es wäre schön, wenn Du versuchen könntest, so offen wie möglich an die Sache heranzugehen. Wenn eine Mutter das nächste Mal so extrem reagiert, frag' doch einfach mal nach. 
Das könnte vielleicht sogar der Mutter helfen. Mir persönlich tut gut, manchmal über all die Ängste zu sprechen.